Montag, 13. April 2015

Luigi Carlotti, Kapitel 2 (Auszug)


Der Tag an dem ich meine neuen Eltern wiedersehen sollte

Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Nicht weil ich mich langweilte. Nein, ich hatte jeden Tag einen riesen Spaß mit meinen Geschwistern, Eltern, Onkels und Tanten. Auch nicht, weil ich darauf wartete. Nein, ich hatte keine Zeit um auf etwas zu Warten. Ich hatte jeden Tag eine neue Welt zu entdecken. Jeden Tag neue Abenteuer zu erleben. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, weil ich Sehnsucht danach hatte. Sehnsucht nach dem Geruch, Sehnsucht nach der Wärme, Sehnsucht nach dieser Geborgenheit. Es ging mir super hier, keine Frage – ein Paradies auf Erden. Ich hatte alles, was ich brauchte hier: Meine Familie, ein Zuhause und genug zu essen für ein ganzes Leben. Aber irgendetwas in mir verzehrte sich nach ihr.
Ich war gerade im Garten. Wir spielten Verstecken und ich hatte mich in das weltbeste Versteck verkrochen, das man weit und breit finden konnte. Es war dunkel hier, eng und ständig fuhr so ein komisch dampfendes Wesen an mir vorbei. Das ideale Versteck. Viele meiner Geschwister würden sich nicht hierher trauen. Das Dampfwesen hielt sie auf sicherem Abstand. Einige Brüder und Schwestern würden niemals damit rechnen, dass ich mich durch ein so kleines Loch quetschen kann. Und der Rest würde mich dank der Dunkelheit übersehen. Ich hatte nichts zu befürchten. Diese Runde würde an mich gehen, nur an mich. Doch es sollte alles Anders kommen. Mittlerweile wurden alle meine Geschwister bereits gefunden und zusammen wuselten, rannten, schlichen und tollten sie alle durch den Garten und suchten nach mir. Sie schauten hinter jeden Strauch, hinter jeden Baum, unter jeden Blumentopf. Nichts. Einige versuchten, mich mit gemeinen und hinterlistigen Tricks aus meinem Versteck zu locken. Der eine raschelte im Laub um eine Maus nachzuahmen. Natürlich wussten sie, dass ich es liebte hinter einer Maus durch den Garten zu jagen um mit ihr zu spielen und um meine Kraft und Schnelligkeit unter Beweis zu stellen. Doch ich blieb standhaft und verhielt mich still. Es war nicht leicht meinen Jagdtrieb zu unterdrücken. Doch ich rief mir immer wieder in Erinnerung, dass es nur ein fauler Trick war und wie alle aus der Wäsche schauen würden, wenn ich ganz am Ende aus meinem Versteck kriechen und gegen sie alle gewinnen würde. Allein der Gedanke daran zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht. Stark bleiben, sagte ich zu mir selbst. Stark bleiben! Nun fing auch noch einer an das Fiepen einer Maus zu imitieren. Mein Pupillen weiteten sich, meine Ohren stellten sich nach vorne und mein Schwanz begann leicht zu zucken. Anspannung breitete sich in mir aus. Anspannung, die man spürt, kurz bevor man zu dem großen Sprung ansetzt. Gleichzeitig empfand ich es als große Genugtuung, dass meine Brüder und Schwestern zu solchen Mitteln greifen mussten um mich aus der Reserve und meinem Versteck zu locken. Langsam ließ die Anspannung in mir nach und ich konnte wieder ruhiger atmen. Der Glaube an meinen Sieg über meine Geschwister und der sich daran anschließende Blick in ihre verdutzten Gesichter hatten über meine Jagdlust gesiegt. Ich würde gewinnen. Jetzt war ich mir ganz sicher. Diese Runde würde an mich gehen, nur an mich. Vor lauter Freude über meinen bevorstehenden Sieg hatte ich überhaupt nicht mitbekommen, dass das angebliche Mäusegeraschel und Mausgefiepe ein jähes Ende gefunden hatte und alle meine Geschwister gespannt zur Balkontür starrten. Ein paar meiner Onkels und Tanten liefen in ihrem stolzen Schritt Richtung Tür, als diese gerade aufschwang. Ich riskierte einen vorsichtigen Blick aus meinem Versteck... 









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