Der Tag an dem ich meine neuen Eltern wiedersehen sollte
Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Nicht weil ich mich langweilte. Nein,
ich hatte jeden Tag einen riesen Spaß mit meinen Geschwistern, Eltern, Onkels
und Tanten. Auch nicht, weil ich darauf wartete. Nein, ich hatte keine Zeit um
auf etwas zu Warten. Ich hatte jeden Tag eine neue Welt zu entdecken. Jeden Tag
neue Abenteuer zu erleben. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, weil ich Sehnsucht
danach hatte. Sehnsucht nach dem Geruch, Sehnsucht nach der Wärme, Sehnsucht
nach dieser Geborgenheit. Es ging mir super hier, keine Frage – ein Paradies
auf Erden. Ich hatte alles, was ich brauchte hier: Meine Familie, ein Zuhause
und genug zu essen für ein ganzes Leben. Aber irgendetwas in mir verzehrte sich
nach ihr.
Ich war
gerade im Garten. Wir spielten Verstecken und ich hatte mich in das weltbeste
Versteck verkrochen, das man weit und breit finden konnte. Es war dunkel hier,
eng und ständig fuhr so ein komisch dampfendes Wesen an mir vorbei. Das ideale
Versteck. Viele meiner Geschwister würden sich nicht hierher trauen. Das
Dampfwesen hielt sie auf sicherem Abstand. Einige Brüder und Schwestern würden
niemals damit rechnen, dass ich mich durch ein so kleines Loch quetschen kann.
Und der Rest würde mich dank der Dunkelheit übersehen. Ich hatte nichts zu
befürchten. Diese Runde würde an mich gehen, nur an mich. Doch es sollte alles
Anders kommen. Mittlerweile wurden alle meine Geschwister bereits gefunden und
zusammen wuselten, rannten, schlichen und tollten sie alle durch den Garten und
suchten nach mir. Sie schauten hinter jeden Strauch, hinter jeden Baum, unter
jeden Blumentopf. Nichts. Einige versuchten, mich mit gemeinen und
hinterlistigen Tricks aus meinem Versteck zu locken. Der eine raschelte im Laub
um eine Maus nachzuahmen. Natürlich wussten sie, dass ich es liebte hinter
einer Maus durch den Garten zu jagen um mit ihr zu spielen und um meine Kraft
und Schnelligkeit unter Beweis zu stellen. Doch ich blieb standhaft und
verhielt mich still. Es war nicht leicht meinen Jagdtrieb zu unterdrücken. Doch
ich rief mir immer wieder in Erinnerung, dass es nur ein fauler Trick war und
wie alle aus der Wäsche schauen würden, wenn ich ganz am Ende aus meinem
Versteck kriechen und gegen sie alle gewinnen würde. Allein der Gedanke daran
zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht. Stark bleiben, sagte ich zu mir selbst. Stark
bleiben! Nun fing auch noch einer an das Fiepen einer Maus zu imitieren. Mein
Pupillen weiteten sich, meine Ohren stellten sich nach vorne und mein Schwanz
begann leicht zu zucken. Anspannung breitete sich in mir aus. Anspannung, die
man spürt, kurz bevor man zu dem großen Sprung ansetzt. Gleichzeitig empfand
ich es als große Genugtuung, dass meine Brüder und Schwestern zu solchen
Mitteln greifen mussten um mich aus der Reserve und meinem Versteck zu locken.
Langsam ließ die Anspannung in mir nach und ich konnte wieder ruhiger atmen.
Der Glaube an meinen Sieg über meine Geschwister und der sich daran anschließende
Blick in ihre verdutzten Gesichter hatten über meine Jagdlust gesiegt. Ich
würde gewinnen. Jetzt war ich mir ganz sicher. Diese Runde würde an mich gehen,
nur an mich. Vor lauter Freude über meinen bevorstehenden Sieg hatte ich
überhaupt nicht mitbekommen, dass das angebliche Mäusegeraschel und Mausgefiepe
ein jähes Ende gefunden hatte und alle meine Geschwister gespannt zur Balkontür
starrten. Ein paar meiner Onkels und Tanten liefen in ihrem stolzen Schritt
Richtung Tür, als diese gerade aufschwang. Ich riskierte einen vorsichtigen
Blick aus meinem Versteck...
Bin schon gespannt, wie es weitergeht. Super geschrieben!
AntwortenLöschen